2005-2007
Rost.
Der Zerfall.
Hienieden im Freien, wo Regen fällt, klare, dichte Nässe zwischen aufgeweichtem Boden und triefender Wolkendecke.
Unverschont, das alte Viehgestell mit feuchtem, modrigem Heu letzten Jahres, mit Erde versehenen Holzrädern und Metallschienen, neben ihr, der Scheune, ein Platz, so verlassen von aller Arbeit und so erfüllt von der Notwendigkeit derer.
Vögel neben ihren Nestern. Und alles in der Scheune.
Es rostet, das Werkzeug. Lange rostet es schon und dieses gemeine Ereignis wurde akzeptiert, stand er eines Tages vor der schon erheblich hinausgezögerten Entscheidung, Platz zu schaffen, in der Scheune, für sein Werkzeug, oder für jene Lebensnotwendigkeiten , die Scheune aber längst derarts nicht mehr fassen wollte.
Es rostet seit Jahren, die Gabeln, draußen rosten sie – doch schreien die Kühe nicht.
“Psst”, rief er.
“Pssst” zu den Mäusen im Stroh.
“Psst”, rief er wohl,
“Psst”, rief er in den Stallungen,
“Psst”, rief er dem Gewissen nach.
“Psst”, rief er in die seine Welt.
Aber war es nichts, einem Nachruf gleich.
Morgens im Halbschlaf – jeden Morgen erfahre ich es – muntert es ihn ungemein auf aus seinem lieblichen Schlafe, der zu vernehmen nach ihm nicht einer Enge gleichet, in der Schwallungen und verbrauchte Luft nie zu entschwinden wissen und strahlende Heiterkeit in keinem Korpus gefangen bleibt, einen Blick vorbei zu der verschlossenen Scheune zu richten.
Große Augen aus dem Bad, den Kühen angeneigt, waren sie ehemals so klein: vorher die Vorhänge, dann freier Blick aufs Gebäude.
Stiefel von Gummi, vertraute Schritte in kurzen, behäbig er mit güllrem Eimer wandernd zum Ausgang.
Links und rechts, seine Tiere im dichten, riechenden Stroh.
Die Stallung wartet.
Er geht.
“Freiheit, endlich”, dachte er; sie trieft immer noch.
Da! Er kommt wieder, eimerlos, und schon wendet er sich vom Eingang ab – die Arbeit sei getan?
“Brot, Brot brauche ich”, beschließt er.
“Brot”.
“Und Butter.”, “Butter brauche ich”, beschließt er.
“Butter”.
Also.
Dann lassen wir ihn mal gehen.
Geschirr.
Der Zerfall.
Drinnen, wo nur der Hahn tropft und sonst wie das Dach solide dicht erscheint, wurde es erst kürzlich – im wintrigen Mondschein eines Tages im Frühherbst – begutachtet und minimale Korrekturen gefügig vorgenommen, um den Wert der Behausung nicht zu verringern.
In der Scheune und im Haus hob er alles, und zwar alles, was in einem Haus dieser Art sich ansammelte, eine ewige Dauer lang, auf, denn füllt es die Stallungen, das große Haus, vom Kellerboden bis zum höchsten Dachgiebel, und die Scheune. Entsorgen, nein, konnte er nichts, konnte er nicht zerstören, was er hütete wie ein Geheimnis.
Bei ihm dennoch: Scherben.
Berge von Geschirr, beschmutzt, benutzt, wartend.
“Butter, Brot”, raunt er, während Speichel sich von seinen Lippen löst, der schon im Stall orts Blasen auf den Lippen warf und ein verschmitztes Lächeln begierig drängt.
Geschmiertes Brot auf der Untertasse, denn Teller in Scherben lagen auf dem Boden in Splittern, gegilbt und gebrauchsbedingt bräunlich befleckt; Abendbrot.
Dann höre ich die Kühe schreien, nicht fern, und auch er wird sie hören müssen.
“Ja, die Arbeit ist getan”, erkennt er alsgleich und begibt sich in den Schweinestall, um zu betten.
Nein, in der Küche könnte er nicht schlafen, das Haus ist für ihn zu klein, zu klein war es, muß es schon immer gewesen sein, schon immer – nie hatte er dies bemerkt und als Folge weitreichende Konsequenz daraus ziehen können – , denn aus welchem Grunde hätte er es denn früher anders empfinden können – was ändert sich denn schon in seinem Hause? Zu prüfen, war ohne Resultat, denn nichts – niemals – konnte weg; zu klein war es auf jedem Fall.
Wie es war, selbstverständlicherweise: so war es.
War er also müde, und das ist er, dann hörte er gar die Säue nicht mehr.
Der Hahn kräht aus dem Mist. Die Veranlassung.
Die Scheune war voll.
Da geht er hin mit seinen Blicken, aber die Stiefel führen ihn allmorgendlich ins Haus, neben der Küche vorbei zum Bad.
Es war hölzern, das Haus, der Scheune gleich, kaum Beton oder gar Glas, woraus die Fenster zu sein schienen.
Sie waren es nicht.
Eher sind es sonderbare Spiegel, durch die er die Scheune betrachtet.
Spiegel, durch die das Sonnenlicht nicht ungedämpft zu geraten vermag.
Morgens durch das Fenster im Bad scheint es ihm sehr nah, die Scheune, so nah, daß alsbald er Minuten gafft, dicht am Ausblick, seinen Blick eindampft.
Tag ist es schon, denn die Sonne zeigt sich.
Nacht ist es schon, denn ich wache in der Scheune, wenn die Sonne scheint, und lobe mich der Freiheit, wenn es mir mich zu zeigen gewährt wird.
Der Hahn kräht.
Er, müde, geht morgendlich grunzend ins Bad, torkelnd und ungewaschen, mit schweinischem Duft, den er lieben gelernt hat.
Betrachtet die Scheune, wahrt Distanz gar, aber Pflege muß ja sein.
So als er sich zu pflegen beginnt: “Moment”, denkt er sich.
Alsbald die Sonne die Scheune erhellt – ja, vorher sah man nichts, schaute man nach draußen, so man nichts sah –, vernahm er die offene Tür.
Neuerdings offen, sah er diese Tür geschlossen, noch gestern früh und stets, schien sie ungeöffnet geblieben.
Offen war sie, habe ich sie zu schließen vergessen.
Sie kommt und bringt ihm Brot und Butter.
Ein Blick, und die Scheune war keiner Beachtung mehr wert, das Haus begann sich mit jedem Bissen zu leeren – wie ein Schwein.