2014-2015
An alle Führer dieser Welt:
ihr habet euere Sklaven.
Nun, wohl ihr euch gesichtet,
wohlgenährt, seyd unterrichtet:
nicht daz Erbarmen ist es, dasz
daz Schweigen ist ganz ausgerichtet.
Es sind die Sklaven, die sich erbarm’
und wohlgesichtet duldsam dien’,
obwohl all’ ihr ihn’ nicht habhaft seyd,
gehet es auch wehrlos und wohlgesittet vonstatten,
dasz viele euch dienhaft seyn,
daz aber ist die Sensation
und mein erheblicher Zweifel an der Welt.
Seyne Natur ist nicht die des Führers
aber seyne Worte sprechen für ihn.
Duldsam sind wir, weil unzere Worte schweigen.
Aber seyne Worte unz klinget so wohl.
Er seynes Namens wird gerichtet,
wenn vergang’ Tage zugerechnet
und alle Tat gerächtet,
wenn die Schuld angerechtet
und unverfänglich Recht nach Übel trächtet,
gleiches Recht für alle Mannen gilt,
selbst gierige Gesaszen die Welt verschonen,
undwenn ihr freyer Geist sie hat noch nicht erfaszet,
so laszet ihr gleich nicht zue,
dasz einer für Euresgleichen spricht,
weil ihr selbst wiszet, so alles notwendig tue,
wenn möglich und lieblich sich trifft.
An alle freyen Männer, welche reinen Herzens sind:
der Hasz kann nur maszlos seyn,
aber bedienet Euch des Haszes stet in Argnisz,
wie ihr euch befreyen wollet.
Und haltet bald ein:
bevor ihr allzugern Euch selbst zerfleischet,
besinnet Euch der Freyheit anstatten,
die jedem Wesen dazugilt,
denn wie daz Wesen eines freyen Mannes sich nicht erschöpfet,
erfindet auch der befreyende Mann,
getrieben ist seyn Geist,
neue Gegner immerzudar;
so kann es keine Frieden geben,
wenn die Kämpfe nicht ruhn.
Ihr wurdet und werdet aber nicht befreyet,
ihr befreyet Euch selbst zugleich,
sogleich der Gedank Euch bemächtigt,
in erster Stund frey zu atmen,
als Anerkennung einer natürlichen Eingebung,
als demselben ihr nun gebietet und treu gehorchet,
nicht wie es Euch von Geburt an befohlen,
sondern wie Ihr es wollet und willet.
Die Sklaverei ist ein Geisteszustand,
der hinzugedichtet wurde,
um sich Euer Kraft zu berauben.
Ihr wurdet alle frey geboren.
Ihr seyd von heute an also keine Sklaven mehr.
Gegeben wurde Euch noch Wort und Schrift.
Mit eurem Blute besiegelet ihr Regeln,
die Ihr selbstlos anerkennet.
Kraft habt Ihr erlanget in ganzer Zeit.
Vielleicht kämpfet Ihr für Euch selbst eines Tages.
Das Blut ist einst gefloszen.
Wofür, das weiszet ihr nicht.
Ihr habet bereits das Werk euerer Vorfahren verraten.
Merket auf, dasz jeder finsteren Seite
auch eine erleuchterte fürwidergelegt zuward.
Wie viele Seiten manchem Buche,
und jed’ erzählet ihre Geschicht.
Alle sind also wahr und wichtig,
bündet – bündet richtig.
Bündet Euch nicht mit fremder Herrschaft,
wie der Nikolaus hat’s dargebracht.
Auch er ist fort wie hier.
Laszt unz nu’ beginnen!
Der gemeinsame Feind ist
die Zerstreung des Bündniszes.
Seyd ihr an Freyheit gebunden,
könnet ihr nur Freyheit geben,
und kennet so euere Mitstreiter,
die weniger als alle gänzlich Freyheit,
unters klamme Volk verlesen:
in welchem Namen sie Freyheit beschneiden,
in seynem Namen stet Sklaven erwachen.
Es wurde viel gesprochen und manches gehört,
so ist die Sprach’ schon fast vergeszen,
indes hat alles für sich keine Bedeuthung,
denn erst die Bedeuthung, die Ihr hinzuführet,
kann Euch führen hinzu, sodasz ihret führet euch.
An alle Sklaven:
euch wurden schon Worte geschenkt.
Es begeistert euch viel.
Nicht euer Herr sprichet hier
undzo höret auch nicht zue:
wenn es euch beliebt,
seyd ihr feine Sklaven.
Ihr werdet geliebt dafür ihr nicht lebt.
Geliebt, dafür ihr nicht denkt.
Geliebt, und daz ist doch all’, wonach der Mens sich sehnet.
Recht ihr habet. Nur werdet ihr nicht geliebt.
Das Ganze ist eine Idee, die ihr täglich denkt.
Sie erfaszet zusehends jed’ noch fernes Ding,
unumkehrlich sie sich dehnet widerstandslos aus,
so gibt es kein Entkommen,
denn in ihrem Namen erfaszet sie euch,
so ihr euch unterwerfen müszet, wie ihr geboren seid,
es wird jed’, jen’ und all’ unterworfen,
denn einer beraubenden Idee wird Glauben geschenkt!
Auf dasz sie füllet unzere Denkmanufactur und einet,
also ist hierin das Sklavendasein erfüllet
und ganz erreichet.
Es ist nicht nur die Idee des Staates
und nicht nur die Idee der Ethik,
nicht die Idee des Rechts.
Es sind nicht die Urtheile der Mens,
es sind viele Ding und
viele Ding’ müszen geglaubet werden,
denn sie haben keine Entsprechung im Geschehen,
sie geschehen entsprechend zum Ding beim Mitdenken,
Ein Beiproduct, dem wir verfallen,
aber das ist die Hauptsache.
Machterhalthung ist stets Machtentfalthung,
Machtentfalthung ist stets Machtabsolutheit
Machtabsolutheit ist die Feinheit der Macht
um über gerichtete Gewalt zu verfügen,
Machtabsolutheit ist stets Machtvereinahmung
und Machtvereinahmung schafft die Grösze,
nach der alle Geister gieren.
Seid nicht wie sie, verschonet die Welt!
Kinder, werdet teil unzerer globalen Gemeinschaft! –
so erlauben sie sich –
Gediegene, laszet euch blitzeblank schleifen! Blitzblank! –
potzblitz –
denn ihr müszet mit euerer Denkmanufactur blitzen und glänzen –
so unterwerfen sie euch –
ihr alle seid würdig des Glanzes!, –
so, also, wenn nun so einer spricht,
ihr im eil’ das Kreuzele bricht!
Das Leben weisz euresgleichen nur aus Geschichten,
die sich Kinder aus ihrem Hirne quetschen müszen,
denn noch spärlich vergiftet die kleinen Gediegenen,
die noch für sich und in sich zu leben wiszen,
und wahrhaft die Welt unverstehen,
denn im Begreifen liegt die Gefahr für jede Seite.
D’rum sollet ihr wie Kinder sein, wie ein Gefäsz,
und auch verstehen um Gefäsze, wie ein Demagoge,
letzteres fügte ich darein.
Seid nicht hohl, sei ungehobelt!
Seid ein Sturm, der vielen Leitbäumen das Kreuze bricht.
Denn im Schatten eines Groszen ist kein Leben,
und unter’m Groszen kriechet viel philistres Gewürm,
das nicht zum Groszen strebt,
weil’s das Streben zum Groszen tagtäglich erlebt,
strebt’s zum kostbaren Wurme,
da ist viel erreicht unter’m Leitbäumelein.
Die Gewalt eines Sklaven wird entfeszelt,
alsobald einer dem Ganzen wennauch kümmerlich entgegensteht,
sich aufbäumt und mit seyner Kraft und kraft seynes Lebens,
nurweiszet das hier der volle Sinn erreichet
von einem kleinen Sklavenleben.
Keine Gewalt ist zu grosz,
kein Hasz ist zu grosz,
wenn alles Übel ein Ende finden kann.
Aber wir streben nicht an,
die Welt zu verbeszern.
Wir streben an,
die Welt vor unz zu verschonen.
Kein Führer verschont,
und wir verschonen keine Führer.
Sklaven, ihr seyd daz Kapital,
aus dem man Nationen schmiedet.
Ihr erhabenen Patrioten aus edlem Fleische,
möget ihr Würmer seyn, wie es beliebet.
Ich werde sogar nachkommen eurem Wunsche,
euch zu nennen ganz, wie es euch beliebet,
vielleicht wollt ihr nicht einmal Patrioten seyn,
doch seyd ihr all die Nation,
denn nichts als alle Nation wird von euch getragen.
Jeder Sklave nährt sich an einer Idee,
die die Nation etablieren,
und die frohe Kunde der ew’gen Dienerschaft,
läszt ewig die Nation sich einen.
Wäre es möglich, wäre es nur möglich,
wäret nicht das Kinde frei geborn,
wie es verloren lag dahin,
gewisz, sein Schicksaal liegt an ihm,
ihm, dem unentwickelt Eingewickelten,
dem rohen Unverrohten,
beidsam finster und erleuchtet,
O freundlicher Geist, den nichts bequemet!
Schaffst du im Kinde Zufriedenheit.
Das Kinde wird verstanden haben.
Eurem Führer aber zuführet nicht,
was ich euch dargeleget habe,
er weisz darum und daso ihm nicht kümmert,
ihr seyd gut Teil des Ganzen,
und habet gut daran fest
und darum weisz er,
ihr seyd gut Kapital,
ihr feinen Sklaven,
Rebellion ist euch liederlich,
und darum weisz er,
und auch wenn ihr euch erhebet,
als Sklaven wieder aufwachet,
und darum weisz er auch.
Mit eurem ersten Schrei gegeben,
ward der Treueschwur zum Ganzen
undso ihn allzumöglich zu heiligen,
daz ist euere aufgetragene Pflicht,
und weiter weiszet ihr nicht.
Für einen freyen Mann aber,
ist der erste Schrei sogleich daz erste Wort,
ein Impetus, der daz Leben vorbestimmen wird,
der die Schlachten geistig vorwegnehmen wird,
auchwenn sie noch geschlagen werden müszeten,
und werden, denn jeder, der bestimmt,
macht sich die ganze Welt zu eigen
und entvölkert sie schamlos,
so ist es kein Volk mehr,
dasz eine Nation erst ermöglicht,
eine Sklavenschaar ist es,
die nicht versteht ohne Unmut dazu,
sondern wird eine Nation ermöglichet,
ganz aus Liebe und Selbstbestimmung,
Einigung und Vereinigung in hoc ordine,
oh, ihr Narren, niemand musz gebildet seyn,
weit gewandert im Geiste und nichts erreicht,
nur dasz soll es seyn, dasz Material,
aus dem eine Volk sich schafft
und geführet durch nichts anderes als das Volk selbst,
so, dasz eine Nation entstehe im Geiste von Brüdern,
die es auf keine Karte schafft.
Und bis heute wurde noch keine Nation ohne Führer geboren.
Keine Nation, die vom Volk geführet wird,
noch eine Nation, mit einem Volk,
dasz nicht schnelligst dem Sklavenschicksaal sich abläszet:
irrtümlich so zeigen die Karten erstarrte Kriegszchauplätze,
und lügen bequemt.
Nicht ohne Irrtum alleinig Instrumente der Herrschaft,
und nicht Euer Theil,
die ihr dienet,
so ist daz, was man wirklich besitzite
alleinigst im Geiste zu exercieren;
vernunftbegabt ist alles der aufgefächerten Urkraft eigen.
Irre sind der Urkraft zueigen,
dasz keiner sonst ihr verstande,
sie werden zu Führern cultiviert;
die Cultur aber gehet ein,
und ein Volk soll es nicht sein,
das einer Führung bedarf.
Nicht, weil es nicht verstehet,
es gehet ein, weil es es nicht täglich versuchet.
Jede Seite eines Buches hat ihren Platz,
und keine kommt wed’ früh noch spät.
Jede Seite hat ihren Platz.
Frei musz der Mens sein,
aber einjeder seinen Platz.
Ihr und Fortuna müszet zusammenschaffen,
nur so wird euch ein Platz zutheil,
eine vorlaute Seite wird nicht gebunden.
Bündet! Bündet endlich zum Bunde die Freiheit!
Die Rezeptur:
Man nehme zwei Eier
und für eine Windel in der Hose
ein dürftiger Spritzbeutel.
Das für jeden Sklaven der Schaar,
so musz auch ein Führer her,
der in den Eingeweiden stöbert,
und mit seinen Stiefeln darein schabt,
ob sich doch etwas verwerten lasze,
eigentlich aber sucht er nicht dort,
verschaffet es ihm Befriedigung nur so,
er hat euch längst gepackt am Schopfe,
das ehrwürdig Buch ist längst gebunden.
Dabei wurdet ihr ausgepreszt.
Ich glaube, es ist nichts mehr da vom Verstande,
was nicht fixiert da stande, gesaszen wie gesetzt.
Die Proceszur:
Bildung kleiner Abszesze,
trotzwennauchaber gutes Gelingen zu bescheinigen.
Der Brei sieht köstlich aus
tausend Kilometer Entfernung.
Es ist aber ein Kuchen
oder eine Torte.
Die Abszesze sind Füllung
und verkohlen geordnet.
Die Temperatur ist gerade hoch genug,
der Anstieg der Temperatur dafür ist angenehm.
Eure Manufactur bewendet:
wehrlos und wohlgesittet
die ganze Welt.
Freunde, aber, aber!
An die Kandare!
Ihr feinen Sklaven,
Ubi pus, ibi evacua!
Euch wurden schon Worte geschenkt.
Es begeistert euch viel.
Addendum 2021
In Angst und bürgerlichem Leben
wurde nie eine Kette gesprengt,
Hier muß man schon mehr geben
Die Freiheit wird nicht geschenkt.
Es sind die glücklichen Sklaven
der Freiheit größter Feind.
Drum sollt ihr Unglück haben
und spüren jedes Leid.
Zu Bettlern sollt ihr werden,
verhungern allesamt.
Zu Mühen und Beschwerden
verflucht sein und verdammt.
Euch soll das bißchen Leben
so gründlich sein verhaßt,
daß ihr es weg wollt geben
wie eine schwere Last.
Nur dann vielleicht erwacht doch
in euch ein neuer Geist.
Ein Geist, der über Nacht noch
euch hin zur Freiheit reißt!
Hoffmann von Fallersleben, “Deutsche Verzweiflung”. 1850