2005-2013

Rost.
Der Zerfall.
Hienieden im Freien, wo ein Regen sinkt, klare, dichte Nässe zwischen aufgeweichtem, tanzenden Boden, und triefender Wolkendecke.


Hier in unbekannter Erscheinung, der Ferne anhänglich, dem Kranken weichend und doch unabänderlich dem Erdball Sklave, hier krausende, bleiche Zungen, die tobend fragmentieren, eilig sich überlagern, und mit des dumpfenden Ohrbebens erniedrigendem Erzürnen schleudern die verkörperte Vertierung niedriger Gedanken, hier ein wütiges Rauschen tiefer Gedankenschwalle – ganz klanglos wie die Erdendröhnung und feuernde Sternenschweife, ein lockender Umstand, eine Gelegenheit der Armut, sich zu erdrücken, über und neben stapeln sie sich, Getier, ein Bein auf Spieß, eins durchsticht ein Obiges und andere die Neusten, die nur so fallen, die lautlos sich einreihen, der Schwerkraft trotzen, bewegende Glieder in letalster Unbeweglichkeit, hier und da Undurchdolchte, die sich suchen für einerlei, kurze, Dauer und jetzt auch nicht schon empor vergraben und Stell-dich-ein Landschaft, ursächlich dem aufbrechenden Grund ein trotzendes Gliederpaar, das nach unten bricht durch die bloße Decke von grün durch braunlich peitschenden Tönen zeits sturmgleicher Lage unfaßbarer verelendenden Gewalten, erratische Zuckungen als letzte Lebensbeweise – oder auch nicht, zornige Schreie rings ums Heu, jäh auch ein Blut erbrechend nebst Fäulnistierchen und wie sie sich trieblich tummeln im Schutze!, recht tanze ringsum mit dem atonalen Gerausche, der eine Regen. Hienieden im Freien.

Unverschont, das alte Viehgestell, sichtlich einst bräunlich, mit feuchtem, modrigem Heu letzten Jahres wie auch der Vorherigen, nun ganz vereinnahmt verdeckt, mit ehemals fast von Aushub begrabenen Holzrädern, auch Gestänge und Schienen, davorne, neben ihr, der Scheune, ein Platz, so verlassen, von aller Arbeit, und so erfüllt, von der Notwendigkeit derer.

Geistesgleiche Abbilder von Vögeln neben ihren Nestern, verzogen.
Und alles in der Scheune.

Es rostet, das Werkzeug.
Lange rostet es schon und dieses gemeine Ereignis vielerorts wurde akzeptiert, stand er eines Tages vor der schon erheblich hinausgezögerten Entscheidung, Platz zu schaffen, in der Scheune, für seine Arbeitswerkzeuge, oder für Lebensnotwendigkeiten, die Scheune aber längst derarts nicht mehr fassen wollte.
Es rostet, seit Jahren, die Gabeln, draußen rosten sie, mit allen übrigen, entbehrlichen Dingen – doch schreien die Kühe nicht.
“Psst”, rief er.
“Psst” zu welchen Mäusen im Stroh.
“Psst”, rief er, den wohl nahrungssuchenden Vögeln nach.
“Psst”, rief er in den Stallungen,
“Psst”, rief er dem Gewissen nach.
“Psst”, rief er in die seine Welt.
Aber jetzt war es nichts, einem Nachruf gleich, kein Unklang, kein Widerhall, nur eine behagliche Ruhe, die ihm lieb und er sie vor sich ihn säuselnd und eifrig spielend sich verlor in einer unausstehlich wirkenden Tiefe, der nicht eine Einladung voraus gehen mußte.
Kein Griff, kein Zug, kein Weh.

Morgens, aus seinem lieblichen Schlafe muntert es ihn ungemein auf, einen Blick vorbei zu der verschlossenen Scheune zu richten – jede Nacht erfahre ich es. Immer halbschläfrig, wach und im Schlaf, findet er den Weg ins Haus.
Große Augen aus dem Bad, den Kühen angeneigt, waren sie ehemals so klein: vorher die Vorhänge, dann freier Blick auf den Stall.
Stiefel von Gummi, vertraute Schritte in kurzen, behäbig er mit güllrem Eimer wandernd zum Ausgang.
Dahinter, seine Tiere im dichten, riechenden Stroh.
Die Stallung wartet.
Er geht.
“Freiheit, endlich”, dachte er; sie trieft immer noch.
Da! Er kommt wieder, eimerlos, und schon wendet er sich vom Eingang ab – die Arbeit sei getan?
“Brot, Brot brauche ich”, beschließt er.
“Brot”.
“Und Butter”, “Butter brauche ich”, beschließt er.
“Butter”.
Also.
Dann lassen wir ihn mal gehen.

Geschirr.
Der Zerfall.
Drinnen, wo nur der Hahn tropft und sonst wie das Dach solide dichte erscheint, es wurde erst kürzlich, im wintrigen Mondschein eines Tages im Frühherbst, begutachtet und minimale Korrekturen vorgenommen (vor allem verkleidete er die Außenwände), um den Wert der Behausung nicht zu verringern.

In der Scheune und im Haus hob er vieles, eigentlich alles, undzwar alles, was in einem Gut dieser Art sich ansammelte, eine ewige Dauer lang, auf, denn füllte manche Stallungen, das große Haus, vom Kellerboden bis zum höchsten Dachgiebel, und die Scheune.

Grabtücher der Spinnen verkleideten jeden Rat, selbst Gänge durch silbrige Netze, auch zuhauf Exkrementiertes, beiliegend, entstanden; und alt war jenes, das sie beschützten, nicht.
Vielmehr befielen wie Bewahrer jede neu ausgefüllte Nische kleine und größere Insekten erst, eine Wachsschicht aus toten Körpern verkleidet Staub, dunklen Konstrukten, kleinen urigen Stelzchen und Stifte, die aus jedem Körper so lustig ragten, von sachten Winden noch wimmerten, die durch die Poren der Wände zogen, aber verblieben unweigerlich verklebt, und vollkommen ohne Willen, durch kleine Fühler selbst die stärksten Winde passieren ließen; sie verendeten tatsächlich alle rasch, und dann erschienen immer auch die Ratten, große, die sich sättigten und auch nach Zeit zu entschwinden wußten; so ist alles verbraucht, entwirrt und wird magisch.
Daraufhin stellte sich eine bemerkenswerte Rührseligkeit in ihm ein.
Die störenden Gedanken, deren Existenz es in seiner Festung zu vereiteln galt, dem Inhalte wegen, denn es galt zu bewahren eine empörende Sonderbarkeit, die des einfachen Mangels und Mangel am Einfachsten, kamen ihm erst gar nicht ins Haus.
Entsorgen, nein, konnte er nichts, konnte er nicht zerstören, was er hütete wie ein Geheimnis, und sich ihm jeden Tag aber selbst erklärte.

Bei ihm dennoch: Scherben.
Berge von Geschirr, beschmutzt, benutzt, wartend.
“Butter-Brot”, raunt er, während Speichel sich von seinen Lippen löst, der schon im Stall orts Blasen auf den Lippen warf und ein verschmilztes Lächeln begierig drängt.
Geschmiertes Brot auf der Untertasse (andere knirschen zierlich unter seinem Gewicht, als würden sie ebenfalls die Einfältigkeit zelebrieren), denn Teller in Scherben lagen übereinander, in Splittern, gegilbt und gebrauchsbedingt meist bräunlich befleckt, hier und da zerlaufende Striemen; Abendbrot.

Dann höre ich die Kühe schreien, nicht fern, und auch er wird sie gehört haben müssen.

“Ja, die Arbeit ist getan”, erkannte er alsgleich und begab sich in den Schweinestall, um zu betten.
Nein, in der Küche könnte er nicht schlafen, das Haus ist für ihn zu klein, zu klein war es, muß es schon immer gewesen sein, schon immer – nie hatte er dies hingegen bemerkt und als Folge weitreichende Konsequenz daraus ziehen können – , denn aus welchem Grunde (was ändert sich denn schon in seinem Hause?) hätte er es denn früher anders empfinden sollen? Es gab aber Prüfungen, sehr genaue Prüfungen, von denen vergleichsweise die Ungenausten resultatlos ihm erschienen, und die Genauesten … hier dachte er sich zu behaftet, und geneigt, daß er fallen könnte, die Unbehaglichkeit des Seins und das Verschwinden der anziehenden Geheimnisse erfüllten ihn zu sehr, sodaß nichts – niemals – entfernt werden konnte; zu klein war es aber auf jedem Fall, anders konnte es nicht sein, im Schweinestall aber war neben den kleinen Schweinen immer Obdach möglich.
Wie es sich alles begab, selbstverständlicherweise: so geschah es.
War er also müde, und das ist er, dann hörte er gar die Säue nicht mehr, und eine intimes Bedürfnis nach Ruhe stellte sich ein.

Der Hahn kräht aus dem Mist.
Die Scheune war voll.
Da geht er hin mit den seinen Blicken, aber die Stiefel führen ihn allmorgendlich ins Haus, neben der Küche vorbei zum Bad, an und über allerlei Gerümpel vorbei, in Heiterkeit, steigend.
Es war hölzern, das Haus, der Scheune gleich, kaum Beton, oder gar Glas, woraus die Fenster zu sein schienen.
Sie waren es nicht.
Eher sind es sonderbare Spiegel, durch die er die Scheune betrachtet.
Spiegel, durch die das Sonnenlicht nicht ungedämpft zu geraten vermag.
Morgens durch das Fenster im Bad scheint es ihm sehr nah, die Scheune, so nah, daß alsbald er Minuten gafft, dicht am Ausblick, seinen Blick eindampft.
Tag ist es schon, denn die Sonne zeigt sich.
Nacht ist es schon, denn ich wache in der Scheune, wenn die Sonne scheint, und lobe mich der Freiheit, wenn es mir mich zu zeigen gewährt wird.

Der Hahn kräht.
Die Veranlassung.
Er, müde, geht morgendlich grunzend ins Bad, torkelnd und ungewaschen, mit schweinischem Duft, den er lieben gelernt hat.
Betrachtet die Scheune, wahrt Distanz gar, aber Pflege muß ja sein.
So als er sich zu pflegen beginnt: “Moment”, denkt er sich.
Alsbald die Sonne die Scheune erhellt – ja, vorher sah man nichts, schaute man nach draußen, so man nichts sah –, vernahm er die offene Tür.
Neuerdings offen, sah er diese Tür geschlossen, noch gestern früh und stets, schien sie ungeöffnet geblieben.
Offen war sie, habe ich sie zu verschließen vergessen.
Sie kommt und bringt ihm Brot und Butter.
Ein Blick, und die Scheune war keiner Beachtung mehr wert, das Haus begann sich mit jedem Bissen zu leeren – wie ein Schwein.